Tuesday, 27 March 2012

Die geologischen Studien von Karl Marx Karl Marx: "Exzerpte und Notizen zur Geologie", Akademie Verlag


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26.03.2012
Porträt von Karl Marx, aufgenommen in einer Ausstellung in Trier (Bild: AP Archiv)Porträt von Karl Marx, aufgenommen in einer Ausstellung in Trier (Bild: AP Archiv)

Die geologischen Studien von Karl Marx

Karl Marx: "Exzerpte und Notizen zur Geologie", Akademie Verlag

von Konrad Lindner

Wenige wissen, dass sich Karl Marx nicht nur mit Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch mit Geologie, Mineralogie und Agrikulturchemie befasste. Seine geologischen Exzerpte und Notizen sind im neuesten Band der Marx-Engels-Gesamtausgabe nachzulesen. 
Eine Gesteinssammlung wie Johann Wolfgang von Goethe sie in Weimar aufbaute, legte Marx in London nicht an. Aber auch Marx war sehr an Geologie interessiert. Bereits in den Pariser Manuskripten von 1844 meinte er, dass das Studium der Geologie unerlässlich sei, um "die Erdbildung, das Werden der Erde als einen Proceß, als Selbsterzeugung" zu begreifen. Auf diesen Ansatz der neuzeitlichen Naturgeschichte griff Marx später zurück. Auch nach dem Erscheinen des ersten Bandes seines Werkes "Das Kapital" entwickelte er Neugier für die Natur und die Naturwissenschaften. Beim Verständnis dieser Passion zeichnet sich ein Durchbruch ab. Der Historiker Manfred Neuhaus von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

"Weil ja bislang nur Experten von der Existenz dieser Forschungsmaterialien wussten. Die Präsentation in unserer Ausgabe hat eben auch wegen der vielen Handzeichnungen von Marx so einen ganz eigentümlichen ästhetischen Reiz. Es wissen wie gesagt nur wenige, dass er sich im Rahmen seiner viel thematischen Studien eben auch mit Geologie und Mineralogie befasst hat."

Das Großvorhaben der Marx-Engels-Gesamtausgabe begann während des Realsozialismus mit den Abituraufsätzen von Marx. Diese Aufsätze, die bereits bekannt waren, markierten im Jahr 1975 den Auftakt der MEGA. Das politische System in Europa, in dem Marx zum Begründer einer zeitlosen und unkritischen Staatsreligion versimpelt wurde, ging unter. Die Marx-Edition ging nicht unter. Heute handelt es sich bei der MEGA um kein Parteiunternehmen, sondern um ein internationales Netzwerk der akademischen Hochkultur, das westlichen Standards der Edition verpflichtet ist. Von den 114 geplanten Bänden liegen inzwischen 59 Bände vor. Marx wird in den vornehmen blauen Bänden des Akademie-Verlages sowohl als Philosoph als auch als Klassiker ökonomischen Denkens, sowohl als Journalist als auch als Politikberater, sowohl als Bücherwurm als auch als einer der letzten Universalgelehrten erkennbar. Welches Buch lag auf dem Lesetisch ganz oben, als sich Marx im Jahr 1878 im Britischen Museum erneut in die Naturwissenschaften stürzte? Manfred Neuhaus.

"Das Werk eines Darwin-Schülers: Jukes. Joseph Beete Jukes. Ein Handbuch zum Studium der Geologie für britische Studenten. Es gibt wenige Werke, die er so intensiv studiert hat. Das intensive Studium wird auch dokumentiert durch fast 100 Handzeichnungen. Zunächst hat er freihändig solche Formationsskizzen und Fossilien reproduziert. Dann hat er sie mit Zigarettenpapier durch gepaust. Wenn man sich das anschaut, ist das eine unglaubliche auch ästhetische Angelegenheit." 

Das Exzerpt aus dem englischen Studentenlehrbuch umfasst im Textteil des MEGA-Bandes 540 Seiten. Hinzu kommen Auszüge zur Geologie aus dem Lehrwerk "Das Buch der Natur" von dem Pädagogen Friedrich Schödler sowie Exzerpte aus einigen weiteren Werken. In der Summe 680 Seiten! Was trieb Marx nun aber im Alter von 60 Jahren ab März 1878 an, wenn er sich einem Intensivkurs in Geologie und Paläontologie unterzog? Bei der Beantwortung dieser Frage scheute die Philosophin Anneliese Griese, unter deren Leitung die wissenschaftshistorische "Einführung" entstand, keine Mühe. Die Frage nach den Ursprüngen der geologischen Interessen führte die Marx-Forscherin nicht nur nach Amsterdam und London, sondern auch nach Trier.

"Er hatte einen Lehrer, Steininger, der seine Ausbildung bei namhaften Naturwissenschaftlern, darunter auch Cuvier, absolviert hatte. Der offenbar Naturkunde, ihnen also, den Schülern, in breiterem Maße nahe gebracht hat. Das war auch ein sehr progressiver Mann. Durch die Aufklärung in seinem Denken bestimmt. Also das ist wohl der Ausgangspunkt. Und die Umgebung von Trier bietet ja auch sehr viel an Einsicht über geologische Formationen. Als wir in Trier waren, haben wir festgestellt und haben gedacht: Hier tritt die Geologie gewisser Maßen vordergründig in Erscheinung."

Der Gymnasiallehrer Johann Steininger, der Marx für die Naturwissenschaften begeisterte, trat bei der Erforschung der vulkanischen Eifel hervor. Steininger hatte bei Humboldt in Paris auch Geologie studiert. Wenn Marx 1844 davon schreibt, dass die Natur "der unorganische Leib" des Menschen sei, ist das nicht die Idee eines Außenseiters. Diese geistige Einstellung war bereits Alexander von Humboldt eigen. Humboldt kultivierte ein dynamisches Denken. Er charakterisierte die Natur als das "Reich der Freiheit" und die Erde als ein "lebendiges Ganzes". Marx schaffte sich Humboldts "Kosmos" in der ersten Ausgabe von 1845 an, musste das Buch aber nach der Ausweisung in Köln zurücklassen. In der Privatbibliothek in London waren dann aber bald Werke der Geologen Charles Lyell und Bernhard von Cotta vorhanden. Von Anneliese Griese wurde die Bibliothek von Marx ausgewertet. Auch das Buch "Deutschlands Boden" aus dem Jahr 1858.

"Dort wird einleitend gesagt, dass die Nationalökonomie fußen muss auf der Gesamtheit der Naturwissenschaft, insbesondere der Geologie. Und er Bernhard von Cotta wolle nun den Kollegen Nationalökonomen klar machen, dass dies so sei und sein müsse. Man müsse also gewissermaßen die Nationalökonomie auf ein naturwissenschaftliches Fundament stellen. Das muss Marx gefallen haben, als er das gelesen hat." 

Die Geologie, die Chemie und die Physiologie bildeten zwischen 1870 und 1882 die naturwissenschaftlichen Studienschwerpunkte von Marx. Bei diesen Studien dürften zwei Motive eine Rolle gespielt haben: Zum einen die Frage nach der Beziehung des Menschen zur Natur. Dabei ging es aber nicht nur um die Wechselbeziehung von Nationalökonomie und Naturwissenschaft, sondern es kam Marx immer auch darauf an, die Dimensionen des Menschlichen so auszuloten, dass das produktive Vermögen des Menschen nicht weg geblendet wird. Wenn er die menschliche Arbeit einblendete, wurde von ihm das Vermögen zur Antizipation und zur Transzendenz noch lange nicht ausgeblendet. Zum anderen bildete aber auch der Begriff der Zeit ein Dauerthema, das Marx seit seiner Doktorarbeit bewegte. Marx hatte seine Dissertation in Berlin über die antike Naturphilosophie geschrieben. Er reichte seine Studie an der Universität Jena ein. Am 15. April 1841 erhielt er das Diplom. Die Arbeit enthält ein Kapitel über "Die Meteore". Marx rühmt an Epikur, dass dieser antike Denker die Zeit zum "Feuer des Wesens" erhoben habe und die Vergänglichkeit der Himmelskörper heraus stellte. Die Frage der Zeitlichkeit dürfte auch eine Rolle gespielt haben, wenn Marx im Laufe seines Lebens immer wieder Neugier für die Fortschritte sowohl in der Biologie als auch in der Geologie entwickelte.

"Ja, ja! Das drückt sich in diesen Formationstabellen aus. Dass ihn interessiert, inwieweit hier die Geologie Entwicklungszusammenhänge erfasst. Das ist die eigentlich spannende Frage, die in allgemeiner Form auch bei Hegel aufgeworfen wird, inwiefern man aus dem räumlichen Nebeneinander auf ein zeitliches Nacheinander schließen kann. Es war für diese Erkenntnis die Darwinsche Theorie ausgesprochen wichtig, weil für Darwin die Fossilien, die sich in den einzelnen Schichten finden, sozusagen Zeugnisse der Evolution sind." 

Die Frage der Zeit war und ist ein großes Thema. Augustinus bezog sich beim Erörtern dieser Frage auf das Erklingen und das Verklingen der menschlichen Stimme. Marx befasste sich mit dem Entstehen und Vergehen einzelner geologischer Epochen. Aber auch ihn trieb 1878 in London wie einst den Kirchenvater um 400 nach Christus die Frage der Zeitlichkeit des Seienden um, wenn er zum Beispiel den Trilobiten Asaphus tyrannus gültig abzeichnete, der vor 300 Millionen Jahren ausgestorben ist.

Karl Marx: Exzerpte und Notizen zur Geologie, Mineralogie und Agrikulturchemie, März bis September 1878
Band IV/26 der Marx-Engels-Gesamtausgabe
Bearbeitet von Anneliese Griese, Peter Krüger, Richard Sperl
Herausgeber: Internationale Marx-Engels-Stiftung Amsterdam
Akademie Verlag, Berlin
1.104 Seiten, 168 Euro

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