Im Rahmen der Gesamtausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels kann jetzt erstmals das Bestandsverzeichnis der Bibliotheken beider Philosophen eingesehen werden (MEGA, 4. Abteilung, Band 32, Akademie Verlag 1999). Damit sind gut fünfundsiebzig Jahre der Bemühung, ein solches Verzeichnis zu erstellen, mit der Erhebung von mehr als eintausendvierhundert Titeln vorerst abgeschlossen. Mitte der zwanziger Jahre begann im Berliner Parteiarchiv der SPD, was das Moskauer Marx-Engels-Archiv an bibliographischer Recherche fortsetzte und nunmehr unter dem Dach der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu einem Ende fand. […] Die Durchsicht des Überblicks übt aber mehr als bibliographische Wiedergutmachung. Wer das Verzeichnis liest, gewinnt einen Einblick in die
Bedingungen gesellschaftstheoretischer Arbeit zu einer Zeit, die in Fragen der Forschung eine Schwelle bildete. Denn Marxens Studienweise lässt wohl überhaupt die historische Phase erkennen, in der Philosophie mitunter in Forschung übergeht. […] Die „ewigen“ Fragen verzeitlichen sich und damit auch der Begriff des Lesenswerten, der sich nun auch auf Nichtklassisches, Marginales, ja Fragwürdiges erstreckt. Die Erkenntnis fällt stückweise an. Am dichtesten annotiert sind in den Handexemplaren von Marx nicht Hegel, Adam Smith oder Ricardo, sondern vorzugsweise Titel zur Geschichte der britischen Verkehrswege, über Klimatographie, den Niedergang der Bourbonen oder das Bankwesen. Einmal schreibt der Bettlägerige: „Gelesen: Carpenters Physiology, Lord ditto, Kölliker, Gewebelehre, Spurzheim, Anatomie des Hirns und Nervensystems, Schwann und Schleiden über die Zellenschmiere.“
Solche Wendungen lassen etwas von dem Pensum erkennen, das sich eine gesellschaftskritische Ambition des Marx’schen Ausmaßes selbst verordnet hatte. Für die Gegenwart, die sich gern in flott geschriebenen „Sachbüchern“ über Globalisierungsfallen, ökonomischen Terror oder den Kapitalismus als Religion ergeht, enthält das Bestandsverzeichnis dieser Bibliothek insofern auch einen deutlichen Hinweis: den auf die Mühe, sich sachkundig zu machen, unterhalb derer bereits im neunzehnten Jahrhundert eine Universalpolemik gegen die „Verhältnisse“ nicht zu haben war.
Bedingungen gesellschaftstheoretischer Arbeit zu einer Zeit, die in Fragen der Forschung eine Schwelle bildete. Denn Marxens Studienweise lässt wohl überhaupt die historische Phase erkennen, in der Philosophie mitunter in Forschung übergeht. […] Die „ewigen“ Fragen verzeitlichen sich und damit auch der Begriff des Lesenswerten, der sich nun auch auf Nichtklassisches, Marginales, ja Fragwürdiges erstreckt. Die Erkenntnis fällt stückweise an. Am dichtesten annotiert sind in den Handexemplaren von Marx nicht Hegel, Adam Smith oder Ricardo, sondern vorzugsweise Titel zur Geschichte der britischen Verkehrswege, über Klimatographie, den Niedergang der Bourbonen oder das Bankwesen. Einmal schreibt der Bettlägerige: „Gelesen: Carpenters Physiology, Lord ditto, Kölliker, Gewebelehre, Spurzheim, Anatomie des Hirns und Nervensystems, Schwann und Schleiden über die Zellenschmiere.“
Solche Wendungen lassen etwas von dem Pensum erkennen, das sich eine gesellschaftskritische Ambition des Marx’schen Ausmaßes selbst verordnet hatte. Für die Gegenwart, die sich gern in flott geschriebenen „Sachbüchern“ über Globalisierungsfallen, ökonomischen Terror oder den Kapitalismus als Religion ergeht, enthält das Bestandsverzeichnis dieser Bibliothek insofern auch einen deutlichen Hinweis: den auf die Mühe, sich sachkundig zu machen, unterhalb derer bereits im neunzehnten Jahrhundert eine Universalpolemik gegen die „Verhältnisse“ nicht zu haben war.
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