Saturday 11 December 2010

Unzufrieden mit dem Unveränderlichen. Ein Nachruf auf Thomas Marxhausen (1947–2010)

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Unzufrieden mit dem Unveränderlichen. Ein Nachruf auf Thomas Marxhausen (1947–2010)


Ein außergewöhnlich scharfsinniger Marxist ist aus dem Leben geschieden. Seine Streitlust und Kritik werde ich vermissen. Ihm ging es stets ums Ganze: die Marx’sche Theorie historisch begreifen, das Brecht’sche Denken nutzbar machen und den „realen“ Sozialismus kritisieren. Er reklamierte für sich selbst „Kritik als Lebensform“, wie er schon 1985 einen Aufsatz in Bezug auf Brecht titelte.
Thomas Marxhausen im November 2009 in Berlin (rls)
Marxhausens Lebensweg war mit der Martin-Luther-Universität in Halle eng verbunden; dort promovierte er in der Sektion für Marxismus-Leninismus, war Lehrer, Dozent und Professor. Seine Studenten werden seine Vorlesungen im Grundlagenfach zur politischen Ökonomie sicher nicht vergessen. Er nahm den Ruf als Gastprofessor an die Universität Aden an; erlebte den Zusammenbruch der DDR aus der Ferne. Es folgten Abberufung, „Warteschleife“ und Entlassung aus der Hallenser Universität. So wurde er Dozent in privaten Bildungseinrichtungen.
Thomas – ich kannte ihn seit fast 35 Jahren – habilitierte über Marx‘ Untersuchung zur „Auflösung der Ricardo‘schen Schule“. Das Thema stand im Kontext mit den MEGA-Editionsarbeiten der „Theorien über den Mehrwert“ als Bestandteil des Marx’schen ökonomischen Manuskripts von 1861–63. Seine theoriegeschichtlichen Forschungen trugen zur Klärung von Marx‘ Anteil an der von J. G. Eccarius verfassten Schrift „Eines Arbeiters Widerlegung der national-ökonomischen Lehren John Stuart Mill’s“ bei, die er für MEGA² I/20 bearbeitet hat.
Nach der „Revolution oder Konterrevolution“, wie er mit Fragezeichen im Titel einer Broschüre der Schriftenreihe „Philosophische Gespräche“ des Vereins Helle Panke – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin das Epochenjahr 1989/1990 zu erfassen versuchte, war Thomas mehr als zehn Jahre ehrenamtlicher Redakteur des „Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus“. Er arbeitete wichtige Stichworte aus (u.a. Fabrikgesetzgebung, Fetischcharakter der Ware, Geheimdiplomatie, historische Mission der Arbeiterklasse, Kapital-Editionen, Kautskyanismus I, klassische politische Ökonomie, Kommunistisches Manifest, Konsumtion), redigierte und diskutierte, stritt mit dem Herausgeber – bis sie sich entzweiten.
Die Brecht’sche Linie in Marxhausens Denken ist untrennbar mit seiner Kritik am Gegenwärtigen verbunden. So überschrieb er einen Aufsatz: „Brecht. Fortschritt als Haltung. Der verhaltene Fortschritt“. Immer wieder beschäftigten ihn „Stalin, Stalinismus, Stalinismen“ als Ursachen für das Scheitern des Staatssozialismus – viel Stoff für einen, der nichts mehr hasst „als diese Unzufriedenheit mit dem Unveränderlichen“ (Brecht) – zu viel.
Rolf Hecker

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